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Die Vatnajökull-Eruption in Südisland


NOAA-AVHRR Mosaik Island wolkenfrei

NOAA Bild von Island

Island ist die größte rein vulkanisch gebildete Insel unserer Erde mit einer Gesamtfläche von 103.000 km2. Es liegt knapp südlich des Polarkreises auf dem mittelatlantischen Rücken, der Nahtstelle zwischen der nordamerikanischen und der europäischen Kontinentalplatte. Etwa 11% der Insel sind von Gletschern bedeckt. Der Vatnajökull ist mit einer Fläche von ca. 8300 km2 und einer Eismächtigkeit von bis zu 1000 m der größte Gletscher Europas. Auf Island befindet sich eine große Anzahl periodisch aktiver Vulkane, die zu einem großen Teil von den Gletschern bedeckt sind.
Durchschnittlich alle zwei bis drei Jahre erfolgt hier der Ausbruch eines Vulkanes was eine permanente Gefährdung für besiedelte Regionen, Verkehrswege, Energieversorgung und Luftverkehr etc. bedeutet.

Die heftigste Eruption in geschichtlicher Zeit fand 1783 an der Laki-Spalte (Lakagígar) auf einer Länge von 25 bis 30 km statt. Der in die Atmosphäre und Stratosphäre geschleuderte vulkanische Staub wurde auch in Südeuropa und im Orient wahrgenommen. Insgesamt wurden 12,5 km3 Magma und schätzungsweise 10 Mio. t Gase, zumeist Schwefeldioxyd, gefördert. Durch austretende giftige vulkanische Gase und die Zerstörung der Vegetation als Folge der Eruption starben mehr als 10500 Menschen (ca. 1/8 der Gesamtbevölkerung) und ca. 75% des gesamten Nutztierbestandes.
Bei subglazialen Vulkanausbrüchen kommt es häufig zu sog. Gletscherläufen, bei denen das aus dem abgeschmolzenen Eis entstandene Wasser innerhalb kurzer Zeit unter dem Gletscher abfließt. Dabei können Flutwellen von verheerenden Ausmaßen entstehen. Nach einem Ausbruch der Katla, eines unter dem Mýrdalsjökull liegenden Vulkanes, im Jahr 1918 strömten während des Höchststandes ca. 100.000 bis 200.000 m3 Wasser unter dem Gletscher hervor. Am Gletscherrand wies die Flut eine Höhe von 70 m auf und verschob durch die große Menge an mitgeführtem Material die Küstenlinie auf einer Breite von 6 km um ca. 500 m meerwärts.

Terraingeocodiertes Radarmosaik ERS-2 (descending) vom 6. Okt. 1996

ERS-2 SAR Bild vom 14.04.96 Der Ort der jüngsten Eruption im Bereich der Neovulkanzone ist ein N-S gerichteter Bergrücken unter der Eisdecke des Vatnajökull, der von den Calderen der Vulkane Bárdarbunga, Hamarinn und Grímsvötn umgeben ist.

Am Abend des 30. September fand unter dem Eis des Vatnajökull ein Vulkanausbruch statt, dem am 29. September ein einstündiges Beben der Magnitude 5 auf der Richterskala im Bereich des Bárdarbunga Vulkanes vorausging. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Luftfahrt vor einem eventuell bevorstehenden Vulkanausbruch gewarnt.

Depression im Eis vom 1. Okt. 1996

Photo: Einsenkung in der Eisdecke am 1.10.96 Am Morgen des 1. Oktober konnte auf Grund günstiger Wetterbedingungen vom Flugzeug aus eine große Mulde im Gletschereis beobachtet werden, die immer tiefer einsank. Während des Tages bildete sich dann eine 5-6 km lange Reihe von Einsenkungen mit einer Breite von ca. 2 km und einer Tiefe von ca. 100 m (Photo: Leiguflug).

Eruptionswolke vom 2. Okt. 1996

Flugzeugphoto der Eruptionswolke am 2.10.96 In den frühen Morgenstunden des 2. Oktober bahnte sich die Eruption ihren Weg durch die in diesem Bereich 450-600 m mächtige Eisdecke. Eine aus Pyroklasten (vulkanische Aschen und Bimse), vulkanischen Gasen und Wasserdampf bestehende Eruptionswolke stieg auf (Photo: Leiguflug).

 

NOAA-AVHRR Kanal 4

NOAA AVHRR Bild vom 12.10.96 Im Thermalkanal der NOAA-AVHRR Daten vom 12. Oktober ist diese Eruptionswolke deutlich von den tiefer liegenden Nebelbänken und der Eisoberfläche unterscheidbar, da sie bis in eine Höhe von ca. 7000 - 8000 m hinaufreicht und somit eine deutlich niedrigere Temperatur von -25° C besitzt. Diese Eruptionswolke transportierte größere Mengen von Pyroklasten, die abhängig von der Windrichtung im Norden und Westen Islands niedergingen und den inländischen Flugverkehr stark behinderten und teilweise zur Einstellung führten.

Die NOAA-AVHRR Daten werden täglich am DFD empfangen und verarbeitet.

NOAA-AVHRR Kanal 2

NOAA AVHRR Bild vom 14.10.96 mit Albedo Die dichte Wolkendecke, die Eruptionswolke und die Unzugänglichkeit der Region behinderten die Beobachtung der Eruption. Aussagen über die Entwicklung, das abgeschmolzene Eisvolumen, sowie über Länge und Breite der Spalte im Gletscher beruhten zumeist nur auf Schätzungen und Erfahrungswerten isländischer Wissenschaftler.


Der europäische Fernerkundungssatellit ERS-2 überflog das betroffene Gebiet am 6. und 8. Oktober. An Bord befindet sich ein Radarsensor, mit dessen aktivem Aufnahmesystem die Erdoberfläche auch bei Dunkelheit oder Bewölkung erkundet werden kann. Somit ist die Beobachtung sowohl am Tag als auch bei Nacht mit gleicher Qualität möglich. Deshalb stellen die ERS-2 Daten eine einzigartige Möglichkeit dar, die Vorgänge genauer beobachten und interpretieren zu können.

Die Daten der beiden Überflüge wurden von der Bodenstation des Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) in Neustrelitz aufgezeichnet und im DFD-Oberpfaffenhofen weiterverarbeitet und analysiert. So wurden insbesondere die durch die Radar-Geometrie verursachten Verzerrungen mit Hilfe von Höhenreferenz hochgenau korrigiert (Terraingeocodierung) und anschließend quantitativ durch Experten ausgewertet. Die Ergebnisse wurden über Netzwerk isländischen Einrichtungen zur Verfügung gestellt.

Terraingeocodierte ERS-2 Szene (descending) vom 14. Apr. 1996 - Eruptionsgebiet

ERS-2 SAR Bild vom 14.04.96 Der Ausschnitt zeigt den Ort des Ausbruchs im nordwestlichen Teil des Vatnajökull zwischen den subglazialen Vulkanen Grimsvötn im Süden, Hamarinn im Westen und Bárdarbunga im Norden.
Die hoch gelegenen Bereiche des Gletschers erscheinen hell. Die Aufnahme erfolgte um 12:29 Uhr an einem warmen wolkenarmen Frühjahrstag, so daß der an der Oberfläche des Gletschers liegende feuchte Firn und Schnee eine hohe Reflektion zeigte.

In diesem Gebiet entstanden seit 1991 durch lokale subglaziale vulkanische Aktivitäten bereits zwei westlich der jetzigen Eruptionsstelle liegende Einsenkungen im Eis, während an der Stelle der neuen Eruption bis zur letzten ERS-2 Aufnahme am 17. September keinerlei Hinweise auf eine vulkanische Tätigkeit zu erkennen waren.

Terraingeocodierte ERS-2 Szene (descending) vom 6. Okt. 1996 - Eruptionsgebiet

ERS-2 SAR Bild vom 14.04.96 Während des Frühstadiums der Eruption zwischen dem 1. und 3. Oktober wurden große Mengen Eis abgeschmolzen, als sich die Magma mit einer Temperatur von ca. 1000° C und vulkanische Gase einen Weg durch die mächtige Eisdecke bahnten. Das Schmelzwasser mit einem geschätzten Volumen von 2-3 km3 suchte sich einen Weg unter dem Eis bis in die Grímsvötn Caldera, die von einem See mit einer bis zu 50 m mächtigen Eisdecke gefüllt ist. Durch die zusätzlichen Wassermassen wurde die Eisdecke um ca. 80 m auf ein Niveau von 1504 m ü.NN (Stand 16.10.) angehoben.

Die Oberfläche des Gletschers erscheint durch eine dünne trockene Neuschneedecke dunkler als im Vergleichsbild vom 14. April. Im Bereich der Eruptionsspalte sind dunkle, von den Öffnungsstellen ausgehenden Streifen zu erkennen. Dabei handelt es sich um Schichten von trockenen feinen Pyroklasten. Die hellen Bereiche im Norden der Ausbruchsstelle werden von einer oberflächlichen Durchfeuchtung der dünnen Neuschneedecke durch die wasserdampfhaltige Eruptionswolke erzeugt. Diese wurde von einem kräftigen Südwind nach Norden getrieben.

Terraingeocodierte ERS-2 Szene (descending) vom 6. Okt. 1996 interpretierter Ausschnitt

ERS-2 SAR Bild vom 14.04.96 Der Ausschnitt zeigt den unmittelbaren Bereich der Eruptionsspalte und erstreckt sich über 12 km in Nord-Süd- und 6 km in Ost-West-Richtung. Die sehr hellen Bereiche auf der Westflanke der Spalte werden durch die Aufnahmegeometrie des Sensors verursacht, der von Osten in einem 67°steilen Winkel auf die Erde blickt. Dadurch erscheinen Flächen, die dem Sensor zugewandt sind hell, abgewandte Hänge etwas dunkler.

Die Gesamtlänge der bisher während der Eruption tätigen Spalte beträgt ca. 6 km (Stand 8.10.). Ausschließlich in der Südhälfte gelang es der Eruption, die Eisdecke an zwei 1200 m bzw. 1100 m langen und maximal 350-450 m breiten Stellen zu durchbrechen. Die Öffnungen sind durch eine ca. 400 m breite Eisbrücke getrennt. Am nördlichen Ende entstand eine 3500 m lange und 2100 m breite, von mächtigen Gletscherspalten durchzogene, tiefe Einsenkung.
Zwischen der aktiven Spalte und der Grímsvötn Caldera läßt sich eine rinnenartige Einsenkung in der Eisdecke erkennen. Sie wurde durch das unter dem Eis in die Caldera strömende Wasser gebildet. Der Wasserspiegel in der Caldera stieg dabei so stark an, daß zur Zeit die Gefahr eines großen Gletscherlaufes besteht, dessen mögliche Abflußmenge auf bis zu 30000 m3/s geschätzt wird. Zum Vergleich beträgt die Wasserführung des Rheinfalles in Schaffhausen im Jahresdurchschnitt 600 m3/s.
Diese Auswertung der Daten wurde durch die Interpretation der Aufnahme vom 8. Oktober bestätigt. Allerdings sind keine Pyroklasten mehr auf der Gletscheroberfläche zu erkennen, da diese am 7. und 8. Oktober durch starken Schneefall abgedeckt wurden.

Terraingeocodierte ERS-2 Szene vom 8. Okt. 1996

ERS-2 SAR Bild vom 14.04.96 Grundsätzlich ist ein Abfluß des bei der Eruption entstehenden Schmelzwassers nach Süden in die Grímsvötn Caldera oder nach Norden in das Flußsystem der Jökulsá á Fjöllum möglich, da die Eruptionsspalte sich im Bereich der Wasserscheide des subglazialen Reliefs befindet. Nach Auswertung der Radaraufnahmen bestätigt sich die Einschätzung, daß ein Abfluß nach Süden erfolgt. Dies bedeutet, daß sich eine große Menge an Schmelzwasser im subglazialen See der Grímsvötn ansammelt. Aus den Ausmaßen der Spalte im Radarbild wird eine Schmelzwassermenge von ca. 2.4 km3 geschätzt.

Der Abfluß der in der Grímsvötn Caldera angesammelten Wassers ist in zwei Richtungen möglich. Am wahrscheinlichsten ist der Abfluß nach Süden unter der Gletscherzunge des Skeidarárjökull in den Skeidarársandur. Dadurch ist die Ringstraße gefährdet, die die ganze Insel umschließt. Eine Zerstörung der Brücken über die Gletscherflüsse würde einen Umweg für die gesamte Versorgung des Südostens auf der Straße um ca. 650 km bedeuten. Davon betroffen wären alle Bereiche des täglichen Lebens (Nahrung, Brennstoffe, ärztliche Versorgung etc.).
Der Abfluß nach Westen im Flußsystem der Tungnaá könnte eine Gefährdung der Staumauern und der für die isländische Wirtschaft unverzichtbaren Wasserkraftwerke an den von den Gletscherflüssen gespeisten Stauseen, bzw. der Siedlungen an den Unterläufen der Flüsse bedeuten. Daneben ist ein Abfluß der Wassermassen über den Fluß Skaftá möglich, was eine unmittelbare Bedrohung der Stadt Kirkjubæjarklaustur und der Ringstraße bedeuten würde.
Es ist daher notwendig, die Entwicklung ständig zu verfolgen, um rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergreifen zu können.

ERS-Daten bieten hier eine hervorragende Möglichkeit, unabhängig von Witterungsbedinungen und Sonnenstand die Geschehnisse beobachten und vermessen zu können. Aus diesem Grund wurde das Projekt "Monitoring von natürlichen Veränderungen der Landoberfläche in Island unter Nutzung von ERS-1/2 SAR und anderen Fernerkundungssystemen" gestartet. In diesem Projekt arbeiten Forschungseinrichtungen und Behörden in Deutschland, Island, Polen und Österreich zusammen mit dem Ziel, neue Verfahren zu entwickeln, die eine schnelle und gesicherte Versorgung der zuständigen Stellen mit genauen Informationen zum Katastrophenschutz gewährleisten.


Einige Bilder wurden aus Daten des Europäischen Satelliten ERS-2 abgeleitet. Diese Ursprungsdaten sind
Copyright © 1996, ESA
Die vorgestellten Ergebnisse wurden im Rahmen der Promotionsarbeiten von Frau Bettina Müschen mueschen@dfd.dlr.de und Herrn Christoph Böhm boehm@dfd.dlr.de am DFD erzielt.

Stand: 31. Okt. 1996; Weitere technische Informationen: Achim Roth roth@dfd.dlr.de
WWW: B. Müschen & C. Böhm ; Ein Service des Deutschen Fernerkundungsdatenzentrums des DLR
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