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Satellitenbilder von ERS-2 unterstützen isländischen Katastrophenschutz

Aktuelle Gefahreneinschätzung des Vulkanausbruchs wird durch Radar-Aufnahmen aus dem All möglich


Pressemitteilung der DLR Nr: 27/96 - Ko

Oberpfaffenhofen - Äußerst wichtige, für manche Isländer vielleicht sogar lebenswichtige Informationen liefert der europäische Fernerkundungssatellit ERS-2 in diesen Tagen. Mit Bildern der aktuellen Gefahrenzone, die ohne Wolken-, Asche- oder Wasserdampfschleier die Situation nach dem Vulkanausbruch vom 30. September zeigen, können die isländischen Behörden ihre Katastrophenschutz-Maßnahmen nun wesentlich gezielter koordinieren.

Möglich wird dies durch die von der ESA als Satellitenbetreiber zur Verfügung gestellten Daten, die vom Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum (DFD) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Neustrelitz empfangen und dann in Oberpfaffenhofen in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München weiter verarbeitet und zu Bildern zusammengesetzt werden. So können unabhängig von Witterungsverhältnissen und Sonnenstand digitale Geländemodelle der Erde mit einer Genauigkeit von fünf bis fünfzehn Metern erzeugt werden. Messungen von Bodenbewegungen wie jetzt nach dem isländischen Vulkanausbruch sind sogar bis auf wenige Zentimeter genau.

Die ERS-2-Bilder der DLR liefern zur Zeit die einzige flächendeckende Informationsbasis, um Anhaltspunkte für die voraussichtliche Richtung der Flutwelle aus geschmolzenem Gletschereis zu gewinnen. Da sich aufgrund der noch andauernden Eruptionen ein dichter Asche- und Dampfwolkenschleier über der Katastrophenregion gebildet hat, zeichnen ausschließlich die durch Radar-Aufnahmen gewonnenen Daten des ERS-2 ein "klares" Bild. Sofort nach Prozessierung der Daten stellte das DFD die errechneten Bilder über das Internet den isländischen Behörden zur Verfügung. Aktuelle Bildbeispiele sind nun auch unter der Internet-Adresse http://www.dfd.dlr.de/de/AKTUELLES/vulkan abrufbar (dort finden sich sowohl die nachfolgend beschriebenen Bilder als auch der vorliegende Pressetext). Beispielhaft dafür sind drei ERS-2-Aufnahmen, die Aufschlüsse über die Intensität des Vulkanausbruchs und der Gletscherschmelze sowie über die mögliche Richtung der Flutwelle geben.

ERS-2 SAR Bild vom 14.04.96Bild 1 zeigt eine terraingeocodierte ERS-2-Szene der sogenannten Neovulkanzone Islands vom 6. Oktober 1996. In ihr befindet sich mit dem Vatnajökull der größte Gletscher Europas mit einer Fläche von rund 8.300 Quadratkilometern und einer Eisdicke von über 1.000 Metern. Der Ort der jüngsten Eruption ist ein in Nord-Süd-Richtung verlaufender Bergrücken unter der Eisdecke des Vatnajökull, der von den Kratern der Vulkane Bárdarbunga, Hamarinn und Grímsvötn umgeben ist. Am Abend des 30. September fand unter dem Eis des Vatnajökull ein Vulkanausbruch statt, dem am 29. September ein einstündiges Beben der Stärke 5 auf der Richterskala im Bereich des Bárdarbunga vorausging.

ERS-2 SAR Bild vom 14.04.96 Auf Bild 2 ist ein "interpretierter" Ausschnitt von Bild 1 zu sehen. Der Ausschnitt eines Gebiets von zwölf Kilometern Länge und sechs Kilometern Breite zeigt den unmittelbaren Bereich der Eruptionsspalte. Durch die Aufnahmegeometrie erscheinen dem Sensor zugewandte Flächen in hellen Tönen, abgewandte Hänge etwas dunkler. Bei den von den Öffnungsstellen der Eruptionsspalte ausgehenden dunklen Streifen handelt es sich um Schichten von trockenen feinen Pyroklasten (vulkanische Aschen und Bimse). Die Gesamtlänge der Eruptionsspalte betrug zum Aufnahme-Zeitpunkt rund sechs Kilometer. Ausschließlich in der Südhälfte wurde die Eisdecke an zwei Stellen auf einer Länge von etwa 1.200 bzw. 1.100 Metern durchbrochen. Die Öffnungen sind durch eine ca. 400 Meter breite Eisbrücke getrennt. Am nördlichen Ende entstand eine 3.500 Meter lange und 2.100 Meter breite, von mächtigen Gletscherspalten durchzogene, tiefe Einsenkung. Zwischen der aktiven Spalte und dem Krater des Grímsvötn läßt sich eine rinnenartige Vertiefung in der Eisdecke erkennen. Sie wurde durch das unter dem Eis in die Krateröffnung strömende Wasser gebildet.

ERS-2 SAR Bild vom 14.04.96 Bild 3 stellt in einer terraingeocodierten ERS-2-Szene vom 8. Oktober den potentiellen Gefährdungsbereich dar. Grundsätzlich ist ein Abfluß des bei der Eruption entstehenden Schmelzwassers nach Süden in den Grímsvötn-Krater oder nach Norden in das Flußsystem der Jökulsá á Fjöllum möglich, da die Eruptionsspalte sich im Bereich der Wasserscheide des subglazialen Reliefs befindet. Nach Auswertung der Radaraufnahmen bestätigt sich die Einschätzung, daß ein Abfluß nach Süden erfolgt. Dies bedeutet, daß sich eine große Menge an Schmelzwasser im subglazialen See der Grímsvötn ansammelt. Die Ausmaße der Spalte im Radarbild läßt eine Schmelzwassermenge von ca. 2,4 Kubikkilometern erwarten. Das würde einen Wasseraustritt aus dem Gletscher mit einer maximalen Abflußmenge von bis zu 30.000 Kubikmeter pro Sekunde bedeuten. Zum Vergleich beträgt die Wasserführung des Rheinfalls in Schaffhausen durchschnittlich nur 600 Kubikmeter pro Sekunde. Der Abfluß des im Grímsvötn-Krater angesammelten Wassers ist in zwei Richtungen möglich: Am wahrscheinlichsten ist der Abfluß nach Süden unter der Gletscherzunge des Skeidarárjökull in den Skeidarársandur. Dadurch ist die Ringstraße gefährdet, die ganz Island umschließt. Eine Zerstörung der Brücken über die Gletscherflüsse würde für die gesamte Versorgung des Südostens einen Umwegstrecke von mehr als 650 Kilometern nach sich ziehen. Davon betroffen wären alle Bereiche des täglichen Lebens (Nahrung, Brennstoffe, ärztliche Versorgung etc.). Der Abfluß nach Westen im Flußsystem der Tungnaá könnte eine Gefährdung der Staumauern und der für die isländische Wirtschaft unverzichtbaren Wasserkraftwerke bedeuten. Denkbar wäre aber auch ein Abfluß der Wassermassen über den Fluß Skaftá, was eine unmittelbare Bedrohung der Stadt Kirkjubæjarklaustur und der Ringstraße darstellen würde. Unbedingt notwendig ist daher, die Entwicklung ständig zu verfolgen, um rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergreifen zu können. Aus diesem Grund wurde das Projekt "Monitoring von natürlichen Veränderungen der Landoberfläche in Island unter Nutzung von ERS-1/2 SAR und anderen Fernerkundungssystemen" gestartet. Forschungseinrichtungen und Behörden aus Deutschland, Island, Polen und Österreich arbeiten dort zusammen, um neue Verfahren der schnellen und sicheren Informationsgewinnung für den Katastrophenschutz zu entwickeln.


Ansprechpartner: Jürgen Kornmann, Tel.: 02203/601-2726 Fax: 02203/601-3249
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