Konvergentes oder divergentes Unterrichten

von Robert Roseeu (1991)

aus einem Beitrag in BUS, Publikation der ehemaligen Zentralstelle für Computer im Unterricht, Augsburg
Heft 21, S.32-35 zum Thema: Kopieren oder schöpferisches Gestalten

Die Handlungsebene: Schülerorientierung

So wie die unterrichtsmethodische Ebene die Umsetzung der fachdidaktischen Konzepte im Unterricht beinhaltet (also aus Lehrersicht), so soll die handlungsorientierte Ebene die Umsetzung der erkenntnistheoretischen Ansätze in unterrichtsrelevante Vorgänge (auf der Seite des Lernenden) beschreiben.

Die handlungsorientierte Ebene erhält fundamentale Bedeutung im Bereich des Medieneinsatzes, insbesondere beim Einsatz des Computers. Warum?

Guter traditioneller Unterricht lebt vom Lehrer-Schüler-Dialog, das Medium Tafel oder Buch steht neben diesem Dialog. Es dient Lehrer und Schüler zur Veranschaulichung, zur Strukturierung, als zusätzliche Informationsquelle. Der Lehrer selbst wird in diesem Unterricht für den Schüler zum Maßstab des Handelns.

Diese Autorität des Lehrers im Unterricht hat sich jedoch in ihrem Gewicht immer wieder verändert.: Zum Beispiel durch unterschiedliche Rollen der Schulbücher, beim Programmierten Unterricht, dann durch das tägliche Fernsehen, heute auch durch das Medium Computerprogramm (und seit 1995 durch das Internet).

So steht der Lehrer heute im Computerraum vor völlig neuen Problemen:
Zwischen ihn und die Schüler schiebt sich der Computer. Wie soll er dem Schüler in traditionellem Sinn Fachwissen, Problemlösungsstrategien oder Bewertungsmaßstäbe vermitteln, wenn sich der Schüler nicht mit ihm, dem Lehrer, sondern mit dem Computer beschäftigt und darüber hinaus in gewissem Umfang der Autorität des Programmautors (bzw. des Internet-Anbieters) ausgeliefert ist?

Ohne eine entwickelte Mediendidaktik läßt sich dieses Problem kaum lösen. Die derzeit beste Lösung für den Fachunterricht scheint das Overhead-Display oder Overhead-PC im Klassenzimmer zu sein. Damit erhält der Computer einen Platz innerhalb des traditionellen Unterrichts.

Das Wirkungsfeld des Lehrers verändert sich, wenn die Schüler an den Geräten sitzen. Er lenkt, berät, organisiert, faßt zusammen, hilft überarbeiten. Er vermittelt weniger das Wissen, dafür muß er mehr die Verfahren der Wissensverarbeitung und die Bewertungsprinzipien dazu weitergeben. Die Tätigkeit des Schülers steht im Mittelpunkt eines derart verstandenen Unterrichts. Viele Elemente des Gruppenunterrichts sind gefordert (siehe U.Karl, BUS 4 und 5).

Was sagt die handlungsorientierte Ebene aus? Wo hilft sie weiter? Welchen Stellenwert hat das Vergleichen aus dieser Sicht?

Die Handlungsebene: Vergleichen als Teil der Lerntätigkeit

Tätig-Sein läßt sich zur gerechteren Bewertung in zwei Gruppen gliedern: Konvergentes oder divergentes Tätig-Sein. (Die Begriffe sind der Psychologie entlehnt, wo sie für konvergentes bzw. divergentes Denken z.B. im Zusammenhang mit Intelligenztests gebraucht werden.) U.Karl hat in BUS 20, 1991, in seinem Beitrag "Bedieneroberfläche und Handlungsrahmen" diese Kategorien auf den Umgang mit dem "geistigen Werkzeug Computer" übertragen und verschiedene situative Anforderungen an Aufgabenstellungen, Lernziele und Gestaltung der Bedieneroberfläche gegenübergestellt.

Entsprechend den unterschiedlichen Handlungsstrategien lassen sich daraus im Computerbereich spezifische Kriterien für Computersoftware formulieren. Die Auswahl von Computerprogrammen hat sich hinsichtlich der Umgangsformen einerseits am Anwendungsziel, andererseits am Verwendungszweck im Unterricht zu orientieren: Manche Programme eignen sich zur Demonstration vor der Klasse, andere eignen sich als Trainingsmedium für den Einzelschüler am Computer, wieder andere für den Kleingruppenunterricht (am Gerät 2-3 Schüler), etliche Prgramme eignen sich für die Schulanwendung eigentlich gar nicht, weil sie für den "Profianwender" in der Wirtschaft entwickelt wurden. Sie können in der Schule jedoch die Aufgabe des Anschauungsobjektes für Vergleiche erfüllen, weshalb oft "Demo-Versionen" ausreichen, wenn diese nicht gerade in den für das Verständnis wichtigsten Funktionen beschnitten wurden.

Läßt sich im handlungsorientierten Ansatz das "Vergleichen" als Tätigkeit deuten, so sollte auch hier zwischen konvergentem und divergentem Denken bzw. Handeln unterschieden und dessen spezifischer Nutzen, bzw. unterschiedliche Zielsetzung diskutiert werden. Die Tätigkeit des Vergleichens geschieht - bewußt oder unbewußt - auf Grund von Handlungszielen. Sie sollen versuchsweise fomuliert werden.

Die Handlungsebene: Unterrichtskonzepte

Die aufgezeigten prinzipiellen Unterschiede zwischen konvergentem und divergentem Tätig-Sein und dessen Zielen legen es nahe, spezifische handlungsorientierte Unterrichtskonzepte zur Medienbenutzung zu formulieren. Der Lernweg hat hier Vorrang vor dem Lehrweg, der Lehrer stößt nur an bzw. lenkt, die Vermittlung von Inhalten geschieht nur ausnahmsweise durch den Lehrer am Anfang oder am Ende der Lerneinheit, generell eignet sich der Schüler aber die Informationen selbst an. Im folgenden werden die Tätigkeitsrichtungen beim "Vergleichen" in Abhängigkeit von der jeweiligen Lernphase betrachtet.

Konvergentes Lernen:
Das Vergleichen als Weg zur Erstaneignung von Faktenwissen, Bewertungskriterien und Arbeitstechniken

Konvergentes Vormachen

Zur Vermittlung wesentlicher Begriffe und grundlegender Arbeitsmethoden eines Faches wie Beschreiben einer Struktur, Typisieren, Kategorisieren, Systematisieren, Regionalisieren, Ableiten von Regeln und Gesetzmäßigkeiten wird sinnvollerweise konvergentes Lernen genutzt. Die dabei entwickelten Fertigkeiten sind die Grundlage für divergentes, gestaltendes Tätig-Sein.

Ein ökonomischer Weg für konvergentes Lernen komplexer Inhalte mit Hilfe des Computers ist das Vormachen am Overhead-Display. Klar strukturierte Arbeitsabläufe sind Voraussetzung für die Nachvollziehbarkeit durch den Schüler. Übersichtliche Hefteinträge im Sinne einer Sammlung von Begriffen und Arbeitstechniken sollten das Ergebnis sein. Diese Phase des Unterrichts gelingt im Klassenzimmer besser als im Computerraum, da die Ablenkung durch Umgebungswechsel auf ein Minimum reduziert bleibt.

Konvergentes Einüben

Jeder Schüler sollte einzeln am Computer tätig sein. Die Aufgabe des Lehrers besteht primär darin, ein detailliertes Arbeitsblatt zu entwerfen und das passende Computerprogramm (Werkzeug) auszuwählen. Spezielle Materialien müssen vorbereitet, Programmbeschränkungen (Abschalten spezieller Menüpunkte, soweit es ein Programm zuläßt) sollten vorgenommen werden. Das Arbeitsblatt bzw. das Lernprogramm nach dem Frage-Antwort-Verfahren ist der eigentliche Informationsträger, der Lehrer bestimmt die Trainingsbedingungen und das Abbruchkriterium für spezielle Aufgaben, wenn sie nicht zum gewünschten Ziel führen. Die konvergente Einübungsphase sollte weitgehend das Vorexerzierte nochmls ablaufen lassen, damit der Lernende Sicherheit und Erfolgserlebnisse bezüglich der Grundfertigkeiten erwerben kann. Lernprogramme nach dem Multiple-Choice-Verfahren sind hier nicht sinnvoll. Hilfen bei Fehlbedienung, benutzergerechte und benutzerfreundliche Menüführung sind in dieser Lernphase bei einem Computerprogramm unerläßlich. Unnötiger Frust muß verhindert werden. Die Arbeit des Schülers am Gerät verlangt volle Konzentration.

Der Dialog am Bildschirm entspricht einem permanenten Vergleichen: Was mache ich? Was soll ich machen? Was passiert? Was habe ich falsch gemacht?

Nicht bewältigte Problemschritte, insbesondere die fachlichen Fehler muß der Lehrer z.B. am Overhead-Display für alle Schüler klarstellen.

Konvergentes Wiedererkennen

In manchen Fällen läßt sich über quiz-ähnliche Situationen das gelernte Muster als Typus, als Regelfall, als Element einer Kategorie schärfer herausarbeiten. Eigentlich handelt es sich dabei um ein Wiedererkennen gelernter Muster und um ein Unterscheiden von andersartigen Mustern. Diese Art Nachbereitung eignet sich besonders für Gruppenarbeit (also mehrere Schüler an einem Gerät). Erfolgt diese Phase über das Overhead-Display, so können sich Diskussionen entwickeln, in denen der Lehrer das individuelle Lernen deutlicher steuern kann.

Divergentes Lernen:
Das Vergleichen als Quelle schöpferischen Gestaltens

Experimentierfreude, Einfallsreichtum und Abstraktionsvermögen des Schülers bestimmen zusammen mit den notwendigen Grundkenntnissen und Grundfertigkeiten den individuellen Erfolg beim divergenten Lernen.

Die Freude am Experimentieren ist kindspezifisch und deshalb in der Schulzeit meist recht ausgeprägt vorhanden. Der Einfallsreichtum und insbesondere das Abstraktionsvermögen variiert dagegen von Schüler zu Schüler teilweise in extremer Weise. Hier hat der Lehrer die Aufgabe, während einer kurzen Motivationsphase eine kleine Sammlung von Anregungen zum gestellten Thema zu geben. Das Overhead-Display bietet sich hierzu an. Jeder Schüler soll dann das benutzen, was er für wichtig bzw. richtig hält. Die Auswahl an Beispielen und Arbeitstechniken sollte nicht zu einseitig und nicht zu umfassend sein. Es geht im Prinzip nur darum, Lösungswege aufzuzeigen.

Die Aufgabenstellung selbst soll nur einen Rahmen für ein zielgerichtetes Arbeiten darstellen. Die Aufgabe kann dabei in Form einer Arbeitshypothese, als grob vorstrukturiertes Arbeitsschema oder als Aspekt des vorgegebenen Materials formuliert werden. Das Arbeitsziel muß klar erkennbar sein, der Weg darf aber nicht beengt werden, damit der Schüler sein e individuellen Vorerfahrungen auch wirklich einbringen kann.

Die Schülertätigkeit zielt auf Selbständigkeit im Bewerten, Entscheiden und Handeln ab.

- Die Analyse auf bekannte Elemente steht am Anfang. Erkennen und Beschreiben der Strukturen von Bild, Text oder Statistik wird die erste wesentliche Tätigkeit sein.

- Dann sind Ansatzpunkte für die gestellte Aufgabe auszuwählen (Bewertung) und das Material ist diesbezüglich zu selektieren und aufzubereiten.

- Wesentliche Bezüge können nun am Beispiel des aufbereiteten Materials formuliert werden.

- Je nach Intention der Aufgabenstellung werden aus dem Material neue Bezüge erkennbar. Der Schüler sollte sie hypothetisch formulieren.

- In einer Prüfungsphase sind die Hypothesen zu bestätigen oder zu verwerfen. An wissenschaftliches Arbeiten ist hierbei natürlich nur in der Oberstufe gedacht, allgemein wird es einfach um das Prinzip von Trial and Error gehen, es geht oder es geht nicht, es ist plausibel oder nicht.

Diese Phase der Schülertätigkeit ist vom Lehrer intensiv zu beobachten, nur so kann er das Abstraktionsvermögen der einzelnen Schüler erkennen. Fehlentwicklungen muß er durch Beratung rasch bereinigen. Für die Schüler ist die Fähigkeit zum lockeren Umgang mit einem Computerprogramm (oder 1998: mit dem Internet) in dieser Phase Voraussetzung für den Erfolg im Sinne fachlicher Unterrichtsziele. Die Möglichkeit zum freien Dialog mit dem Programm ist nötig. Das Programm wird zum Werkzeug für das eigene Denken. Der Benutzer sucht das, was er gerade braucht. Gefühle, Einstellungen und Assoziationen spielen in dieser Phase eine wichtige Rolle.

Am Ende einer Unterrichtseinheit zeigen Lehrer und/oder Schüler am Overhead-Display beispielhafte Lösungen, die diskutiert werden sollten, damit sich auch die nicht zitierten Schüler einbringen können. Der Lehrer muß dabei übergeordnete Aufgabenstellungen nochmals herausarbeiten, damit hinsichtlich der Abstraktionsfähigkeit und bezüglich des vernetzen Denkens wesentliche Fortschritte möglich werden. Hier hat sich der Lehrer schwerpunktmäßig zu engagieren, hier wird er für die Schüler wieder zum Maßstab des Handelns.

Zusammenfassung:
Die Handlungsziele und die Zuordnung der Vergleichsvarianten

Konvergentes Handlungsziel:
Eine Kopie einer vorgegebenen Zielform ist auf möglichst direktem Weg zu erstellen, Abweichungen von der Zielform sind zu vermeiden.
Der permanente Vergleich hilft zu entscheiden, ob das Handlungsergebnis als Kopie der Zielvorgabe akzeptiert werden kann.
(Beispiele: Informationswiedergabe, Einübung von Tätigkeiten)

Divergentes Handlungsziel:
Eine oder mehrere Varianten zur vorgegebenen Zielform sind auf möglichst individuelle Art zu erstellen. Umwege sind zugelassen.
Der permanente Vergleich hilft zu entscheiden, ob das Handlungsergebnis zur Zielvorgabe in Beziehung steht bzw. ob Bezüge zu anderen früheren Ergebnissen sichtbar werden.
(Beispiel: Informationsverarbeitung)

Elemente des konvergenten Vergleichs
- Erkennen von Details

- Prüfen auf Gleichheit
- Wiedererkennen der Zielform
- Verharren in der vorgegebenen Abstraktionsstufe
- Argumentation in Form von linearen Kausalketten
- Auswerten von Vergleichsergebnissen nur rudimentär

Elemente des divergenten Vergleichs

- Erkennen von Prinzipien und Strukturen

- Prüfen auf Ähnlichkeit
- Wiedererkennen der Variante im Unterschied zur strengen Kopie
- Bewegen in verschiedenen Abstraktionsstufen und Hierarchien
- Argumentation in Bahnen strukturierter "Netzwerke"
- Auswerten der Vergleichsergebnisse nimmt breiten Raum ein

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